Die Wahl des Reiseziels ist natürlich von Deinen Interessen abhängig. Ich halte nichts davon, es umgekehrt zu machen und das Ziel nur anhand Deines Leistungsniveaus zu wählen. Es macht ja schließlich keinen Sinn, irgendwo seine Zeit zu verbringen, wo man zwar körperlich klarkommt, sich aber ansonsten nur langweilt. Die Radreise soll ja Freude machen, Neugier wecken und motivieren. Also einfach auf Deine innere Stimme hören und nach Deinem ganz individuellem Interesse mögliche Ziele ins Auge fassen. Natürlich ist auch die Erreichbarkeit ein nicht unwichtiges Kriterium, aber sie sollte nicht an erster Stelle stehen . Überleg Dir, worauf es Dir wirklich ankommt. Das ist eine so persönliche Angelegenheit, da will ich mich als Außenstehender nicht einmischen.
Im Grunde sind es drei Kriterien, die die Reiseziele einer Radreise prägen und aus denen sich alle anderen Besonderheiten ableiten lassen: die Kultur, die Landschaft und das Klima einer Region.
Hierzu seien mir ein paar Hinweise erlaubt:
Der Charakter der Landschaft, in der Du Dich ja überwiegend aufhalten wirst, ist natürlich zunächst einmal durch die Geologie geprägt. Denn Bodenarten, Gesteine und Topografie sind die Basis der Landschaft. In Verbindung mit dem regionalen Klima ergibt sich daraus die Vegetation, die unter diesen Bedingungen gedeiht. Und für diese naturräumlichen Voraussetzungen haben die Menschen über die Jahrhunderte ganz spezielle Methoden entwickelt sie zu bewirtschaften. Diese Traditionen bestimmen nicht nur, wie die Menschen wirtschaften, ob sie eher Vieh halten oder Felder bestellen, ob Wälder bewirtschaftet oder Bodenschätze abgebaut werden, sondern vor allem auch die Art der Besiedlung und der Vernetzung durch Straßen und Wege.
Das kann für Dich als Radwanderer in mehrerlei Hinsicht von Bedeutung sein. Denn Landschaften mit Streusiedlungen haben ein dichteres Wegenetz, aber dafür ist die Landschaft eben auch voller Häuser. Dort wo die Menschen sich in größeren Dörfern organisieren kann es stattdessen weite Landschaften geben, aber eben auch nur wenige Wege. Der Einfluss der kulturellen Traditionen setzt sich in den Siedlungsstrukturen in den Dörfern und Städten fort. In manchen Regionen gibt es alle paar Kilometer eine historische Altstadt zu bewundern, während andernorts Städte aller Art Mangelware sind. Im Gesamtpaket mit der Religion und der Sprache macht das jede Region in Mitteleuropa auf ihre Art einzigartig. Im Umfeld größerer Städte und an größeren Flüssen oder in breiteren Tälern musst du allerdings überall mit den gesichtslosen Fehlentwicklungen der neuzeitlichen Siedlungsentwicklung rechnen.
Auf keiner anderen Art zu reisen kannst Du so hautnah miterleben, wie sich Kulturlandschaften, Siedlungsformen, Bautraditionen und Sprache Stück für Stück (und manchmal auch sprunghaft) verändern. Denn mit dem Auto bist Du dafür zu schnell, und als echter Wanderer zu langsam. Die kulturellen Regionen in Mitteleuropa sind meist in einer Größe, dass man sich ca. 3 Tage als Radwanderer darin aufhalten kann, bevor es in die nächste geht. Auf einer 14-tägigen Tour kommt da schon etwas zusammen. Also nutze den Vorteil und puzzle dir ein paar interessante Regionen aneinander.
Neben dem Kulturkreis bestimmt die Topografie die Landschaft und damit ganz wesentlich auch den Charakter der Reise. Für den Radwanderer ist dabei natürlich das Höhenprofil von besonderer Bedeutung. Du kannst die Topografie aber nicht immer automatisch mit dem Schwierigkeitsgrad gleichsetzen. Denn eine Landschaft ist nie konsequent einheitlich. Auch an einem Fluss kann es Dir passieren, dass Du plötzlich hunderte Höhenmeter am Ufer hinauf musst, weil am Fluss kein Platz mehr ist. Dafür kannst Du in einigen großen Alpentälern komplette Anfängertouren machen. Und mit Wind musst Du überall rechnen.
Je länger Du Deine Strecke wählst, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass Du mehrere Landschaftsformen durchqueren wirst. Hier sind die typischen Landschaftsformen in Mitteleuropa und was sie für Deine Radwanderung bedeuten:
Wenn Du nur gemütlich die Nase in den Wind halten möchtest und vor allem einen weiten Blick mit ganz viel Natur um dich herum haben willst, dann könntest Du Dir eine Route in den küstennahen Ebenen an Nord- und Ostsee zwischen Belgien und Estland suchen.
Falls Du es etwas exotischer und wärmer magst, kommt vielleicht auch die Pannonische Tiefebene in Ungarn und seinen Nachbarstaaten oder die Poebene in Italien in Frage.
Für's Erste bietet sich aber natürlich die norddeutsche Tiefebene an. Wer Weite und Ruhe sucht für den Geist ist hier genau richtig. Vorausgesetzt, der Wind bläst einem nicht ins Gesicht, lässt es sich entspannt und ohne große Anstrengungen fahren. Sportliche fahren einfach ein bisschen schneller und länger am Tag (oder planen die Fahrt gleich entgegen der vorherrschenden Windrichtung).
Im Marschland an der Nordsee und im weiteren Hinterland wird es bis auf ein paar Rampen über den Deich oder eine Autobahn keine nennenswerten Steigungen geben. Von der Linie Hamburg-Hannover an ostwärts solltest Du allerdings berücksichtigen, dass es dort durch eiszeitliche Endmoränen punktuell auch überraschend hügelig werden kann.
Grundsätzlich ist es aber so, dass sich in den tendenziell eher dünnbesiedelten Landstrichen Kultur und Menschen nicht gerade aufdrängen...
Geht es Dir eher um die Kulisse? Dann ist das Gebirge vielleicht das Richtige für dich. Dort gibt es schließlich unglaubliche Ausblicke und Perspektiven. Und wenn es Dir um die sportliche Komponente geht, kommst Du hier bei mutiger Streckenwahl voll auf Deine Kosten. Meist wechseln sich anstrengende Abschnitte mit moderaten Bereichen ab, so dass man dennoch gut vorankommt ohne sich zu sehr zu verausgaben. Und eine wellige Tagesetappe am Berghang über kleine Wirtschaftswege durch saftig grüne Almwiesen voller glücklicher Kühe gehört für mich einfach zu den schönsten Fahrraderlebnissen überhaupt.
In Mitteleuropa sind natürlich die Alpen die erste Adresse für Gebirgsreisen und hier gibt es inzwischen auch ein gutes Netz an Radwanderwegen. In den großen Längstälern der Alpen, zum Beispiel im Inntal in Österreich, im Rhonetal im schweizerischen Wallis, im Etschtal in Italien oder im Tal der Isère in Frankreich finden Anfänger auch mehrtägige Strecke ganz ohne Steigungen. Allerdings drängen sich Menschen und Verkehrswege im Gebirge auch in den Tälern, in denen man gut Rad fahren kann. Nicht immer so einsam, wie man denkt...
Möchtest Du hingegen Kultur, Landschaft und sportliche Herausforderungen verbinden, dann ist eine Tour durch die zahlreichen heimischen Mittelgebirge unter Umständen das Richtige.
Die meisten Mittelgebirge sind dünn besiedelt und überwiegend durch Wald geprägt. Das bringt es mit sich, dass Du dort zwar lange Fahrten durch die Natur, aber nur wenig Ausblick in die Landschaft genießen kannst.
Mittelgebirge sind zwar nicht ganz so hoch wie die richtigen Gebirge, aber wenn man sich nicht gerade eine Route entlang eines Flusses sucht kann es hier trotzdem ganz schön Auf und Ab gehen. Deshalb sind die meisten Mittelgebirge -zumindest in den höheren Lagen- auch eher die Refugien der Mountainbiker...
Zu den klimatischen Besonderheiten lies bitte dien Artikel Reisezeit.
Zur Orientierung, welche Topografie denn nun wo genau auf Dich wartet, habe ich Dir mit freundlicher Unterstützung der Community von OpenStreetMap eine Karte eingefügt, die Dir vielleicht noch aus dem Schulatlas bekannt ist.
Wenn Du in die Karte hineinzoomst, wirst Du irgendwann auf eine Darstellungsebene kommen, auf der Du sogar die Höhenlinien sehen kannst. Das sind die dunkelbraunen Linien, an denen in bestimmten Abständen die Höhe eingetragen ist. Mit diesen Linien kannst Du mit ein bisschen Übung die Steigung aus der Karte herauslesen. Denn je dichter die Höhenlinien beieinander liegen, um so steiler ist das Gelände. Und um so mehr sich der Winkel deiner Fahrtroute einem rechten Winkel annähert, wenn sie diese Höhenlinien kreuzt, um so steiler ist auch dein Weg.